Wie die LMIV den Onlinelebensmittelhandel vor bislang unlösbare Probleme stellt

Die Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) der Europäischen Union gehört zu den zentralen rechtlichen Rahmenbedingungen des Lebensmittelhandels. Seit dem 13. Dezember 2014 regelt sie verbindlich für alle EU-Mitgliedsstaaten, welche Produktinformationen ein Händler dem Verbraucher mitteilen muss. Insbesondere der Onlinehandel ist derzeit allerdings noch nicht in der Lage, sämtliche Anforderungen der LMIV detailgetreu zu erfüllen.

Seit fast drei Jahren ist die LMIV inzwischen in Kraft. In dieser Zeit hat sie einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, die nötige Transparenz im Lebensmittelsektor zu schaffen, damit Verbraucher eine fundierte Kaufentscheidung treffen können. So sind Lebensmittelhändler dazu verpflichtet, ihre Kunden vor dem Kauf beispielsweise über die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe, mögliche Allergene, die Nettofüllmenge oder den Hersteller zu informieren. Die dadurch entstehende Transparenz kann in Anbetracht der korrekten Deklaration von Allergenen für einige Kunden sogar überlebenswichtig sein.

Im stationären Geschäft bereiten die Anforderungen der LMIV den Händlern kaum Probleme. Schließlich sind die in der Verordnung festgelegten Pflichtangaben bei vorverpackten Artikeln auf der Verpackung für den Kunden einsehbar. Hinweisschilder stellen die Informationen bei unverpackter Ware bereit. Im Falle des Fernabsatzes, der neben dem Onlinehandel auch den Verkauf per Katalog, Telefon oder E-Mail umfasst, bereitet die Verordnung den Händlern allerdings Kopfzerbrechen. Schließlich muss der Kunde auch in diesen Vertriebskanälen bereits vor dem Abschluss des Kaufvertrags über die Pflichtangaben informiert werden.

Im Fernabsatz bereitet die Verordnung den Händlern Kopfzerbrechen.

Die Verpackung kann der Kunde in einem Onlineshop allerdings nicht zu Rate ziehen. Daher übernehmen die Produktdaten, die der Kunde auf der Produktdetailseite einsehen kann, diese Funktion. Diese Produktdaten mit dem Produkt in Einklang zu bringen, das der Verbraucher nach seiner Bestellung tatsächlich geliefert bekommt, ist allerdings eine äußerst komplexe Aufgabe, wie zwei Beispiele verdeutlichen.

Fall 1: Ein Hersteller verändert die Inhaltsstoffe seines Produkts

Wie andere Wirtschaftsunternehmen auch sind Lebensmittelhersteller hochgradig daran interessiert, ihre Produkte bestmöglich zu verkaufen. Daher sind Optimierungen der Rezeptur, die auch Auswirkungen auf die Zutatenliste haben können, auch bei bereits in den Markt eingeführten Artikeln keine Seltenheit. Während der Hersteller die Angaben auf der Verpackung in einem solchen Fall sofort anpassen kann und somit dafür sorgt, dass der Kunde punktgenau darüber informiert ist, welche Inhaltsstoffe in dem Produkt stecken, das er in der Hand hält, birgt die Aktualisierung der Produktdaten in den Onlineshops der Händler einige Fallstricke. Diese sind vor allem darin begründet, dass es sich bei Händler und Hersteller in der Regel um unterschiedliche Unternehmen handelt und der Händler zunächst einmal von der Veränderung der Zutatenliste erfahren muss.

Hierfür gibt es verschiedene Wege: Zum einen können intermediäre Drittanbieter wie Tradebyte derartige Veränderungen aufbereiten und an den Handel ausspielen, sodass sie automatisiert auf den Produktdetailseiten erscheinen. Allerdings müssen für einen derartigen Ablauf sowohl der Hersteller als auch der Händler über entsprechende Schnittstellen an das System des Drittanbieters angeschlossen sein. Somit erreichen über diesen Weg längst nicht alle Informationen sämtliche Händler. Aus diesem Grund müssen Hersteller Händler zum anderen separat über Veränderungen der Inhaltsstoffe informieren. Anschließend werden sie vom Händler manuell in seine eigenen Produktdaten übertragen.

Angesichts der Vielzahl von Lebensmittelherstellern und -händlern ist es allerdings keine Seltenheit, dass eine derartige Information einen Händler nicht erreicht oder er es versäumt, seine Produktdaten zu aktualisieren. Die Folge sind fehlerhafte Produktdaten, die nicht mehr mit den verkauften Produkten übereinstimmen und somit nicht den Standards der LMIV entsprechen. Doch damit nicht genug: Da einmal bestehende Fehler oftmals über einen langen Zeitraum nicht erkannt werden und immer wieder neue Unstimmigkeiten hinzukommen, wird die Gesamtheit der Produktdaten eines Onlineshops mit der Zeit immer fehlerhafter.

Fall 2: Verschiedene Chargen beinhalten unterschiedliche Inhaltsstoffe

Änderungen an den Pflichtangaben resultieren allerdings nicht nur aus aktiven Entscheidungen der Hersteller. Stattdessen können die Angaben auch zwischen einzelnen Chargen eines Produkts variieren. Ein Beispiel hierfür ist Mineralwasser: Zahlreiche Lebensmittelhändler bieten ihren Kunden in dieser Produktgruppe mittlerweile Eigenmarken an, für das sie Wasser aus unterschiedlichen Quellen – mit dementsprechend unterschiedlicher Zusammensetzung – beziehen. Die Inhaltsstoffe sind daher nicht fest an die Produktmarke gekoppelt, sondern können sich mit jeder Charge, die der Händler von seinen verschiedenen Lieferanten erhält, unterscheiden.

Der Anspruch der LMIV ist auch in diesem Fall klar: Der Kunde soll bereits vor dem Kauf erfahren, welche Zusammensetzung das Wasser hat, das ihm nach seiner Bestellung geliefert wird. Ein Händler dürfte dem Kunden somit nur das Wasser liefern, das den zum Zeitpunkt der Bestellung im Onlineshop dargestellten Produktdaten entspricht. Somit müsste der Händler die Produktdaten mit jeder neuen Charge aktualisieren und erst einmal die im Onlineshop abgebildete Charge abverkaufen, bevor er seinen Kunden die nächste Charge mit angepassten Produktdaten anbietet.

Ein solches Verfahren wäre allerdings nicht nur prozessual äußerst ineffizient. Bei genauerer Betrachtung ist es Händlern auch auf diese Weise kaum möglich, die Regelungen der LMIV einzuhalten. Was geschieht beispielsweise, wenn nur noch drei Kästen der alten Charge im Lager vorhanden sind, der Kunde aber vier Kästen bestellt? In diesem Fall erhält der Kunde zwangsläufig einen Kasten Mineralwasser, dessen Produktdaten er vor dem Kauf nicht einsehen konnte, da sich ein hundertprozentig LMIV-konformes Prozedere in den Prozessen und der Logistik derzeit nicht abbilden lässt.

Der Durchbruch lässt noch auf sich warten

Die soeben beschriebenen Probleme bei der Umsetzung der LMIV im Onlinelebensmittelhandel betreffen nicht nur vereinzelte Händler, sondern beschäftigen die gesamte Branche – vom großen Handelskonzern über das aufkommende Start-up bis hin zum Nischenspezialisten. Das Resultat ist eine äußerst unbefriedigende Situation, die sich nach bisherigem Stand nicht auflösen lässt.

Der berechtigte Anspruch der LMIV ändert jedoch nichts daran, dass sich die Verordnung im Onlinehandel derzeit technisch nicht bis ins letzte Detail umsetzen lässt.

So ist eine Aufweichung der LMIV für den Onlinelebensmittelhandel trotz der Schwierigkeiten bei der Umsetzung keine Option. Schließlich gehört ein wirksamer Verbraucherschutz, der insbesondere die Gesundheit der Konsumenten als oberste Priorität einstuft, zu den zentralen Aufgaben der Politik. Der Anspruch, dass sich ein Kunde auch beim Lebensmitteleinkauf im World Wide Web vor seiner Bestellung genau über ein Produkt informieren kann, ist daher verständlicherweise nicht verhandelbar.

Der berechtigte Anspruch der LMIV ändert jedoch nichts daran, dass sich die Verordnung im Onlinehandel derzeit technisch nicht bis ins letzte Detail umsetzen lässt. An der Einsatzbereitschaft der Händler mangelt es jedenfalls nicht. So kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass der Handel keineswegs an einem Fortbestand des Status quo interessiert ist. Immerhin bergen die rechtlichen Grauzonen, in der sich die Unternehmen derzeit im Onlinelebensmittelhandel bewegen, viele unbefriedigende Risiken. Daher spielen die Händler immer wieder Szenarien durch, wie sich die Probleme bei der Umsetzung des LMIV mit der nötigen Effizienz lösen lassen – bislang ohne bahnbrechenden Erfolg.

Bis auf weiteres werden Gesetzgeber, Handel und Verbraucher mit den beschriebenen Grauzonen leben müssen. Ob sich die Probleme in Zukunft durch technische Fortschritte lösen lassen, bleibt abzuwarten.

Bildquelle: Fotolia – Tyler Olson