Wie der Staat seine Souveränität auch in Zeiten der Digitalisierung bewahren kann

Workshop auf der Smart Country Convention 2019

Vom 22. bis zum 24. Oktober fand in Berlin die diesjährige Smart Country Convention statt, in deren Rahmen sich zahlreiche Besucher über Möglichkeiten zur Digitalisierung der Verwaltung und der öffentlichen Dienstleistungen austauschen konnten. Eines der drängendsten Themen in diesem Zusammenhang ist die Frage, wie der Staat auch in digitalen Zeiten souverän bleiben und die digitale Umsetzung seiner Gesetze möglichst eigenständig vorantreiben kann. Hamarz Mehmanesh, Gründer und CEO von mgm technology partners, hat hierzu mit Roland Krebs, Referatsleiter beim Bayerischen Landesamt für Steuern, sowie Stefan Schaffer, Senior Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Wege im Rahmen eines Workshops aufgezeigt.

Die Digitalisierung der Gesetze gehört in die Hand des Staates. Dieser Aussage würden die meisten Bürger mit Sicherheit zustimmen. Die Realität ist jedoch häufig eine andere, wie Hamarz Mehmanesh in seinem Vortrag im Rahmen der Smart Country Convention ausführte: Gesetzestexte und Gesetzesänderungen werden von Spezialisten der Fachreferate in den öffentlichen Verwaltungen interpretiert und Vorgaben für eine operative Umsetzung erarbeitet. Im idealen Fall resultiert dies in der Anpassung bereits digitaler Verfahren. Aber auch das ist in Deutschland nicht unbedingt der Fall. Die digitale Umsetzung erfordert i.d.R. eine Zusammenarbeit mit IT-Experten. Aus den Vorgaben der Fachreferate werden Spezifikationen für die digitale Umsetzung abgeleitet, eine Aufgabe die nur zu oft in der Hand von Beratungsunternehmen liegt. Die in diesen Spezifikationen dargelegte fachliche Logik wird im Anschluss daran durch IT-Experten in den Code übertragen, aus dem schließlich eine Anwendung entsteht, die der Bürger nutzen kann.

 

Modellbasierte Regelsprache ermöglicht souveränes Handeln des Staates

Da die Fachexperten an diesem Übersetzungsvorgang in Code oft genug nicht beteiligt sind, kann es zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen aufseiten der mit der Umsetzung betrauten Entwickler kommen. Zeitaufwendige Klärungen können die Folge sein. Die Gefahr, dass die letztlich realisierte Anwendung der eigentlichen Fachlogik nicht hundertprozentig entspricht, ist somit durchaus gegeben. Im Falle eines Wasserfallmodells in der Entwicklung zeigen sich diese Diskrepanzen erst sehr spät im Entwicklungsprojekt. Eine zusätzliche Problematik ist, dass angesichts des auch in der öffentlichen Verwaltung spürbaren Fachkräftemangels, die technischen Umsetzung häufig in der Hand externer IT-Dienstleister liegt. Selbst bei größter Sorgfalt der Beteiligten könnte somit ein privatwirtschaftliches Unternehmen Einfluss auf die digitale Umsetzung deutscher Gesetze haben. Hier wäre die Souveränität des Staates bei der Digitalisierung seiner Gesetze eingeschränkt.

Eine Lösung für dieses Dilemma verspricht die Verwendung einer modellbasierten Regelsprache, die sowohl von Menschen als auch von Maschinen gelesen und interpretiert werden kann. Mithilfe dieser auch ohne tiefgehende IT-Kenntnisse verständlichen Sprache sind die Fachexperten in der Lage, selbstständig die fachliche Logik zu „modellieren“. Aus den Modellen wird anschließend automatisch der Code generiert und schließlich die wichtigen fachlichen Teile der Anwendung ‚generiert‘. Auf diese Weise wird eine Trennung der fachlichen von technischen Komponenten der Anwendungsentwicklung erreicht. Fachspezialisten sind so in der Lage, den fachlichen Teil der Anwendung eigenverantwortlich zu erstellen. Fachliche Anpassungen sind im Betrieb damit erheblich leichter und oft außerhalb starrer Release-Zyklen möglich. Somit kann die Umsetzung der Fachlogik der Gesetze von der Gesetzgebung bis hin zur Erzeugung lauffähiger Programme vollständig in der Hand des Staates und seiner Fachreferate verbleiben.

 

Digitalisierung der Steuergesetzgebung durch fachliche Modelle

Ein eindrucksvolles Beispiel, wie sich die Anwendungsentwicklung auf Basis einer modellbasierten Regelsprache im Verwaltungsalltag darstellt, lieferte im weiteren Verlauf des Workshops Roland Krebs vom Bayerischen Landesamt für Steuern anhand der Elektronischen Steuererklärung (ELSTER). Diese wird Jahr zu Jahr von immer mehr Nutzern in Anspruch genommen. So wurden beispielsweise allein im Jahr 2018 über 23 Millionen Einkommenssteuererklärungen auf elektronischem Weg an die Finanzbehörden übergeben. Allein aufgrund der hohen Nutzerzahlen, der Pflicht zur elektronischen Abgabe von Erklärungen für Unternehmen und der hohen Kontakthäufigkeit zwischen Bürgern, Unternehmen und der Verwaltung, nimmt ELSTER für die Verwaltung einen besonderen Stellenwert ein.

Aufgrund der hohen fachlichen Komplexität des deutschen Steuerrechts und seiner vielfältigen Regularien sowie der alljährlichen umfangreichen Gesetzesänderungen ist es besonders wichtig, dass die Mitarbeiter der zuständigen Fachreferate die Anwendung selbstständig bearbeiten und aktualisieren können. Angesichts der über 4 Millionen bislang eingegebenen Regelversionen, über 7 Millionen Feldversionen sowie über 7.500 Datenarten wäre eine effiziente Weiterentwicklung des ELSTER-Verfahrens ansonsten kaum möglich. In seinem Vortrag stellte Roland Krebs die verschiedenen Werkzeuge, die den Fachspezialisten seiner Behörde zur Verfügung stehen, im Detail vor und erläuterte, wie die Digitalisierung der Steuergesetzgebung souverän durch den Staat umgesetzt wird.

 

Ausblick: Ein Formular, dem man Fragen stellen kann?

Stefan Schaffer vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) stellte in einem Ausblick die Idee einer Sprachsteuerung im E-Government und der Steuer vor. Demnach können die von den Fachreferaten entwickelten Modelle nicht nur als Grundlage für klassische Webanwendungen, sondern auch für einen sprachbasierten Interaktionskanal dienen. Reine KI basierte Dienste könnten die in komplexen Fachverfahren abgebildeten Zusammenhänge kaum erfassen, weshalb eine Kombination von KI mit Modellen sogar notwendig erscheine.

Moderne User Interface, allen voran die natürliche Sprache, seien dafür geeignet, weitere Akzeptanz beim Bürger zu erreichen. Als kurzfristige Möglichkeiten für ein solches Szenario seien beispielsweise die Statusabfrage der Steuererklärung sowie der Antrag auf Fristverlängerung geeignet. Mittelfristig sollte aber das kontextbezogene Ausfüllen der Steuererklärung mittels Q&A im Formular das Ziel sein.