Agile Methoden wie Scrum etablieren sich immer häufiger in deutschen Unternehmen. Gerade im E-Commerce-Umfeld, in dem eine schnelle Marktreife und eine kontinuierliche Verbesserung des Produkts entscheidend sein können, steht Scrum hoch im Kurs. Trotz der hohen Meinung gegenüber der Methodik an sich steht innerhalb des Staffings mit dem Scrum Master eine zentrale Rolle aber immer wieder unter Rechtfertigungsdruck. Warum eigentlich?

Der Scrum Master gehört seit jeher zu den festen Bestandteilen des Scrum Frameworks. Im Gegensatz zum Entwicklungsteam und dem Product Owner – den anderen beiden festgeschriebenen Rollen – wird über die Notwendigkeit des Scrum Masters jedoch häufig diskutiert. Gerade in Staffing-Prozessen erlebe ich immer wieder, dass die Rolle des Scrum Masters auf die Funktionen Organisation und Moderation von Meetings reduziert wird. Um Kosten zu sparen, wird daher oftmals darüber nachgedacht, ob die Aufgaben des Scrum Masters nicht nebenbei von einem anderen Teammitglied erledigt werden können.

Dies liegt insbesondere daran, dass der Aufgabenbereich des Scrum Masters schwer zu fassen ist. Explizit wahrnehmbar ist seine Arbeit tatsächlich vor allem in den Meetings, die er intensiv vor- und nachbereiten und darüber hinaus auch moderieren muss. Gerade für Außenstehende ist jedoch nicht immer ersichtlich, welche Aufgaben der Scrum Master in den teilweise langen Phasen zwischen den Meetings erfüllt. In der Tat nehmen die Vor- und Nachbereitung sowie die Moderation von Sprint Planning, Review und Retrospektive nur etwa ein Viertel der Arbeitszeit eines Scrum Masters in Anspruch. Doch damit ist das Aufgabenspektrum dieser Rolle noch längst nicht vollständig umrissen.

Der Scrum Master sorgt für Prozessverbesserung und Produktivitätssteigerung

Sobald versucht wird, die Rolle des Scrum Masters zu definieren, liest man häufig den Satz: „Der Scrum Master ist dafür verantwortlich, dass Scrum gelingt.“ Dieser Einschätzung schließe ich mich vollumfänglich an. Um diese Aussage zu verstehen, muss man sich die Grundidee der Scrum-Methodik vergegenwärtigen: Das vorrangige Ziel ist die kontinuierliche Verbesserung. Meist wird dabei vor allem an die Optimierung des Produkts gedacht, das im Mittelpunkt einer komplexen Produktentwicklung steht. Doch das Produkt ist nur eine Seite der Medaille. Um eine agile Produktentwicklung wirklich zum Erfolg zu machen, müssen sich auch die Prozesse und das Team selbst weiterentwickeln.

Besonders plastisch wird die Notwendigkeit der Prozess- und Teamentwicklung in E-Commerce-Projekten: Kaum eine Branche ist so schnelllebig wie der Onlinehandel. Entscheidungen, die heute richtig erscheinen, können buchstäblich morgen bereits wieder komplett falsch sein. Um in diesem herausfordernden Umfeld langfristig mithalten oder sogar eine führende Rolle einnehmen zu können, sind effiziente Prozesse und Teammitglieder, die gewählte Wege kritisch hinterfragen und gedanklich flexibel nach Lösungen suchen, von entscheidender Bedeutung. Genau an diesen Punkten findet der Scrum Master sein Wirkungsfeld.

Um die Optimierung der Prozesse und die Weiterentwicklung der Teammitglieder zu forcieren, sorgt er für eine gute Atmosphäre und ein Arbeitsklima, in dem sich die Teammitglieder frei entfalten und eigenverantwortlich arbeiten können. Er lebt die agilen Prinzipien und Werte vor, vertritt die Entscheidungen des Teams nach außen und verteidigt und schützt es vor Eingriffen. Darüber hinaus sorgt er für die Beseitigung von Hindernissen und motiviert das Team, auch mal neue Wege auszuprobieren und gegebenenfalls wieder umzudrehen. Zudem führt er Gespräche auf Team- und Einzelebene, um Konflikte zu lösen, und dient als Mentor, um jeden Einzelnen und das Team voranzubringen. Gezielt setzt er seine Kreativität ein und setzt punktuell magische Momente, um den Teamspirit zu erhöhen und die ganze Kraft eines gut funktionierenden Teams für die Produktentwicklung zu nutzen. Kurzum: Der Scrum Master legt die Grundlagen, auf dem das Team aufbauen kann. Er befähigt sozusagen zur Selbstbefähigung.

Die Rolle des Scrum Masters ist kein Teilzeitjob

Doch muss der Scrum Master dafür tatsächlich jederzeit bereitstehen und das restliche Team rund um die Uhr begleiten? Sollte sich das Team laut der Scrum-Prinzipien nicht selbst organisieren können, sobald die Scrum-Regeln einmal eingeführt und verinnerlicht worden sind? Der Einwand, dass man die Rolle des Scrum Masters doch zumindest in erfahrenen Scrum-Teams zurückfahren könne, ist alles andere als selten. Diesem Einspruch ist die oft zitierte, aber dennoch wahre Weisheit entgegenzuhalten, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Mitglieder eines Scrum-Teams sind hier keine Ausnahme: Auch sie neigen dazu, sich in einem Status quo einzurichten und etablierten Standardprozeduren zu folgen.

Wie ein mechanisches Uhrwerk benötigt auch ein erfahrenes Scrum-Team immer wieder Impulse, um seine Effizienz und seinen offenen Blick beibehalten zu können.

Für ein agiles Vorgehen ist dies jedoch fatal. Wie ein mechanisches Uhrwerk, in dem zwar alle Räder ineinandergreifen, das aber dennoch über kurz oder lang stehenbleibt, wenn man es nicht aufzieht, benötigt auch ein Scrum-Team immer wieder Impulse, um seine Effizienz und seinen offenen Blick beibehalten zu können. Ein Scrum Master, der das Team immer wieder an die eigenen Spielregeln erinnert und eingefahrene Gewohnheiten hinterfragt, ist daher die beste Methode, um Betriebsblindheit vorzubeugen. Ein Scrum-Team kann somit nur in der Gesamtheit seiner Bestandteile erfolgreich sein.

Wie man an diesen kurzen Ausführungen erkennen kann, hängt ein großer Teil des Projekt- bzw. Produkterfolgs von der Ausübung und Besetzung der Rolle des Scrum Masters ab. Zugegebenermaßen ist dieser bedeutende Anteil allerdings nicht immer offensichtlich. Trotzdem finde ich es immer wieder faszinierend, wie viel Verantwortung in dieser Rolle untergebracht ist und wie oft innerhalb der Organisationen dennoch an ihrer Berechtigung gezweifelt wird.

Aus meiner Sicht ist dies ein großer Fehler. Schließlich kann die fehlende Effizienz eines Scrum-Teams ganz konkrete Auswirkungen auf das Geschäft eines Unternehmens haben. Jeder Tag zählt und je später beispielsweise der Launch eines Onlineshops aufgrund eines ineffizienten Scrum-Teams stattfinden kann, desto höher sind die möglichen Umsätze, die der Organisation mit jedem Tag über diesen Vertriebskanal verloren gehen. Diese Umsätze können die Kosten für einen Scrum Master schnell übersteigen. In diesem Fall hätte man schlicht am falschen Ende gespart.

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