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Mit dem Umsatzwachstum, den der Onlinehandel seit Jahren verzeichnet, steigt auch die Anzahl der Pakete, die tagtäglich verschickt werden – eine Entwicklung, die traditionelle Logistikdienstleister über kurz oder lang an ihre Grenze bringen könnte. Kann Crowdlogistik dabei helfen, die Paketflut zu bewältigen?

Die kommenden Wochen dürften für die Logistikdienstleister große Herausforderungen bereithalten: Laut einer Prognose des Bundesverbands Paket & Expresslogistik (BIEK) könnten – insbesondere dank des weiterhin wachsenden Onlinegeschäfts – im Vorfeld der Weihnachtstage bis zu 30 Millionen Pakete mehr durch Deutschland transportiert werden als noch im Vorjahr. An Spitzentagen könnten sich sogar bis zu 15 Millionen Sendungen in den Auslieferungsfahrzeugen befinden.[1] Angesichts dieses Booms wurde die deutsche E-Commerce-Landschaft durch eine Pressemitteilung des Paketdienstes Hermes in den vergangenen Tagen spürbar aufgeschreckt: Um auch im Weihnachtsgeschäft eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, werde man „in Absprache mit einzelnen Onlinehändlern erstmals regionale Mengenobergrenzen einführen“[2], verkündete das Logistikunternehmen. Nicht nur die betroffenen Händler stellen sich seitdem die Frage, ob die klassischen Logistikdienstleister ihre Auslastungsgrenze erreicht haben und mit dem Wachstum des Onlinehandels noch mithalten können? Müssen sich Händler folglich nach alternativen Logistikkonzepten umsehen?

Amazon scheint sich derartige Gedanken bereits gemacht zu haben. Beinahe zeitgleich mit der Hermes-Mitteilung führte der Handelsriese sein bereits u.a. in den USA erprobtes Logistikprogramm Amazon Flex in Deutschland ein.[3] Dabei setzt Amazon auf ein Konzept, das als Crowdlogistik oder Crowdshipping bekannt ist: Zunächst ausschließlich in Berlin können sich Privatpersonen als selbstständige Paketboten registrieren, um dann in selbst ausgewählten Zeitfenstern Sendungen für den Onlineversender zuzustellen. Die etablierten Logistikunternehmen dürften die Bemühungen Amazons, sich von ihren Dienstleistungen unabhängiger zu machen, naturgemäß argwöhnisch betrachten. Schließlich hat das Konzept einer Auslagerung von Logistikaufgaben an eine Gruppe freiwilliger Privatpersonen (die „Crowd“) zumindest theoretisch disruptives Potenzial. Dies zeigt nicht zuletzt der Erfolg des Vermittlungsdienstes Uber im Bereich der Personenbeförderung, der in den Jahren 2014 und 2015 zu weltweiten Protesten traditioneller Taxiunternehmen und -fahrer führte.

Mit seinem Engagement im Bereich der Crowdlogistik ist Amazon allerdings längst nicht allein. So experimentierten in der Vergangenheit bereits alteingesessene Logistikkonzerne wie DHL und große Handelsunternehmen wie Walmart im Rahmen diverser Pilotprojekte mit Crowdlogistiklösungen. Darüber hinaus versuchen aktuell zahlreiche Start-ups mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen in diesem Bereich Fuß zu fassen. Dabei folgen sie dem immer stärker um sich greifenden Trend der Sharing Economy, den unter anderem Unternehmen wie Airbnb und Uber geprägt haben, und hoffen auf eine ähnlich positive Entwicklung ihrer Ansätze.

Die Akzeptanz für Crowdlogistiklösungen ist vorhanden

Doch hat die Crowdlogistik tatsächlich das Potenzial, den deutschen Kurier-, Express- und Paketdienstmarkt (kurz: KEP-Markt) ernsthaft umzuwälzen oder zumindest zu ergänzen? Mit dieser Frage beschäftigte sich nun das Seminar für Unternehmensführung und Logistik der Universität Köln in einer Studie[4]. Innerhalb dieser Studie befragten die Autoren potenzielle Kunden und Privatzusteller zu den Crowdlogistiklösungen und untersuchten deren Akzeptanz. Dabei stellte sich heraus: Bislang sind derartige Konzepte noch nicht im Bewusstsein der breiten Masse angekommen. So war die Möglichkeit, dass Privatpersonen die Zustellung von bestellten Waren übernehmen können, nur jedem vierten Umfrageteilnehmer (25 Prozent) bekannt. Zudem sind tatsächliche Erfahrungen mit Crowdlogistiklösungen bisher selten: Laut der Studie hat nicht einmal ein Fünftel der Personen (17 Prozent), denen Crowdlogistik ein Begriff ist, derartige Dienstleistungen bereits in Anspruch genommen.

Trotz der eher geringen Bedeutung, die die Crowdlogistik bisher innerhalb des KEP-Markts hat, ist die Einstellung gegenüber dem Konzept überwiegend positiv. So glauben fast drei Viertel der Befragten (73 Prozent), dass die Paketlieferung durch Crowdshipping flexibler werden könnte. Folglich wünschen sich auch 82 Prozent der potenziellen Kundschaft von einem Crowdlogistikanbieter die Zustellung in einem individuellen Wunschzeitfenster. Ähnlich wohlwollend betrachten auch mögliche Zusteller die Idee der Crowdlogistik: Neben der wenig überraschenden Erkenntnis, dass 84 Prozent in derartigen Geschäftsmodellen eine gute Möglichkeit für einen Nebenverdienst sehen, erkennen sechs von zehn potenziellen Boten (60 Prozent) auch einen positiven ökologischen Beitrag.

Die Überwindung der kritischen Masse ist die zentrale Herausforderung

Um Crowdlogistikdienstleistungen nachhaltig im deutschen KEP-Markt zu etablieren und spürbare Marktanteile zu gewinnen, ist das Erreichen einer kritischen Masse an Kunden und Zustellern, die das Konzept mit Leben füllen, von entscheidender Bedeutung. Eine wesentliche Hürde, die die Anbieter hierfür überwinden müssen, sind die Sicherheitsbedenken der Kunden. Die Sorge, dass die bestellte Ware beschädigt oder gestohlen werden könnte, ist laut der Studie weitverbreitet. So ist ein vorhandener Versicherungsschutz für transportierte Artikel für so gut wie jeden Befragten (97 Prozent) eine zwingende Voraussetzung, um solche Dienste zu nutzen. Zudem wird auch eine vorherige amtliche Verifizierung des Zustellers – bspw. mittels des Personalausweises – von 94 Prozent der potenziellen Kunden als unerlässlich angesehen. Bei den Zustellern treffen derartige Wünsche überwiegend nicht auf Widerstand: Eine große Mehrheit (84 Prozent) ist stattdessen bereit, sich im Vorfeld verifizieren zu lassen. Auch den Abschluss einer Transportversicherung bewerten die meisten potenziellen Zusteller (73 Prozent) positiv.

Die Voraussetzungen für eine Bedeutungssteigerung der Crowdlogistik sind somit zwar grundsätzlich gut. Nach Einschätzung der Studienautoren dürfte eine tiefgreifende Umwälzung des Logistiksektors auf absehbare Zeit aber ausbleiben, da sich die Anbieter im Hinblick auf zentrale Faktoren wie Preis, Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit bislang nicht entscheidend von etablierten Kurier- und Paketdiensten absetzen können. Als Ergänzung von bereits vorhandenen Angeboten könnte sich das Konzept jedoch insbesondere in urbanen Räumen durchaus etablieren.

 

[1] https://www.internetworld.de/e-commerce/logistik/weihnachtsgeschaeft-droht-paketkollaps-1434616.html

[2] https://newsroom.hermesworld.com/paketversand-hermes-schafft-zusaetzliche-kapazitaeten-fuer-weihnachten-13721/

[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Private-Fahrer-als-Paketboten-Amazon-Flex-kommt-nach-Berlin-3887326.html

[4] https://www.logistik-heute.de/sites/default/files/logistik-heute/knowhow/crowd_logistik_logistik_heute_summary_final_v2_pdf_11563.pdf

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